Autor | Journalist | Sprecher
TEXTE & ESSAYS II
DIE CHOREOGRAFIE
DES SCHREIBENS
Wörter tanzen im Gehirn von links nach rechts hin und her her und hin sie reihen sich auf – stieben auseinander – ein aufdringliches Wort klopft an – drängt sich herein – sucht sich seinen Platz im wilden Reigen bilden Formationen formen Bilder komponieren Konstruktionen konstruieren Kompositionen bis der finale Satz gefunden ist Im Schlussakkord steht das Ensemble still und auf den Punkt gebracht. Seufzend fällt der Vorhang Klarheit im Kopf Frieden
STILLE
Wenn es still um jemanden geworden ist, hat das was Angsteinflößendes. Eine unheilvolle Unsicherheit. Wir kommen besser zurecht, wenn jemand laut ist. Da ist er spürbar und greifbar. In Stille ist ein Mensch unberechenbar und löst bedrohliches Unbehagliches aus. Nun sag schon?! Stille … das ist fast ein Angriff, weil uns jemand im Regen stehen lässt, was in ihm vorgeht. Jemanden aktiv im Unklaren zu lassen, ist fast ein Akt der Grausamkeit. Aber auf der anderen Seite, was muss erst passieren, damit wir in Stille gehen? Da ist dann keine Hoffnung mehr, dass man uns versteht, da ist kein Bedürfnis, noch etwas zu klären. Wir lassen es sein, es bringt nichts. Stille ist der Moment der Akzeptanz, dass es keiner Worte mehr bedarf. Eisiges Schweigen - der letzte Ausweg. Stille ist Absolutismus - die ultimative Antwort. Stille ist machtvoller, kraftvoller -und lauter als jedes Geschrei. Stille ist Selbstsicherheit und Abgrenzung. Auf der anderen Seite: Es ist niemals wirkliche Stille in uns. Selbst wenn wir schweigen, uns an die einsamsten Orte zurückziehen, nicht mit anderen kommunizieren – rattert und knattert es in uns. Wo Energien sind, ist es niemals still, selbst wenn unsere Ohren es nicht wahrnehmen. Aber nur in unserer eigenen Stille können wir sie spüren und sie auf uns wirken lassen. So wie eine Gesprächspause nicht etwa peinlich ist, sondern wichtig, um das Gehörte in uns sacken und entfalten zu lassen. Miteinander schweigen zu können, den Moment in gemeinsamer Stille sein zu lassen, zeigt, wie sicher wir beim anderen sind. Es ist die tiefste Verbindung, die wir mit einem anderen haben können, wenn unsere Seelen in äußerer Stille im inneren Gleichklang schwingen dürfen und der Herzschlag des anderen das Lauteste ist, was wir hören. Wir müssen nichts erklären, nicht aussprechen, was wir fühlen. Es ist da, in der Gewissheit, dass es keiner Worte bedarf. Stille ist, ins Vertrauen zu gehen. Stille ist, den anderen zu fühlen statt zu hören. Stille ist, sich andächtig und bewusst hinzugeben. Stille ist, im Augenblick zu sein. Stille ist Frieden und Glück. Stille ist Liebe. Stille ist niemals nichts.
HEILUNG
Das ist vielleicht etwas irritierend und auf den ersten Blick abstoßend und igitt igitt, aber... Emotionale Verletzungen und das Heilen kann man ganz gut mit Pickeln vergleichen. Mit richtig fiesen - im Gesicht... Da gibt es die kleinen Mitesser, die wir eigentlich nur selbst so richtig sehen und nur uns selbst stören, weil da etwas ist, was uns belastet. Nicht schlimm, eher so oberflächlich... denn ein kleines Drücken zum richtigen Zeitpunkt und die Haut gibt die eingeschlossene Verstopfung frei, die Pore schließt sich nach einigen Stunden und der Spuk der kleinen Verletzung ist vorüber... Done! Aber und das wisst ihr alle, so unglaublich heimtückisch sind die richtigen Pickel...die Tage und manchmal Wochen gewachsen sind und sich unter der Haut mit jeder Menge Eiter ihren Weg und Platz in die tieferen Schichten gefräst haben... Wir haben ihre Entstehung unwohlsam gespürt und wahrgenommen, wir wussten, dass da etwas in uns wächst, was uns die Tage vermiesen kann, so weit vermiesen, dass wir nicht mehr außer Haus gehen wollen, weil jeder ihn sehen kann, den Hubbel, rot entzündet... Wir können jeden Tag versuchen, kleine Portionen wegzudrücken, es auszutrocknen oder es notdürftig abzudecken, oder sogar ein kleines Pflaster drüber zu kleben -was unseren Makel der Verletzung für alle noch sichtbarer macht. Wir sind gezeichnet von einem Geschwür...das mit jedem Mal drücken und es loswerden wollen, weiteren Schaden anrichtet, weitere Bakterien und Nährstoffe in die Sepsis hineinbringt und weitere Gefäße unter unserer Haut vergiftet, dem Pfropfen noch mehr Raum gibt und noch mehr wehtut, weil es eh macht, was es will. Und es fällt schwer, nicht daran rumzufummeln und es wieder unter neuen Schmerzen aufzureißen. Es ist verlockend, das zu tun, weil wir uns selbst sehr nahe sind in den negativen Gefühlen und uns selbst sehr intensiv spüren, beinahe besser spüren, als in den guten Momenten. Unser Struggeln und Suhlen in alten Wunden, in alten Schmerzen macht uns – so blöd das klingt – lebendig und befeuert unsere Gedanken um ein Vielfaches mehr als die Erlebnisse, die einfach nur schön sind. Haben wir uns in den glücklichen Momenten mal gefragt: Warum musste das jetzt ausgerechnet mir passieren? Wieso wirft es mich gerade aus der Bahn, wenn es mich übermannt? Haben wir uns dann auch stundenlang hinterfragt, gegrübelt und das Selbstmitleid eingeladen, sich in unserem Schädel breit zu machen? Oder waren wir in den geilen Situationen einfach nur im Hier und Jetzt? Aber letztendlich, und das haben wir doch alle schon erlebt und erfahren dürfen, ist das Einzige, was hilft und schneller hilft, als alles herumdoktern: Es einfach bei jedem Blick in den Spiegel zu akzeptieren, dass da eine Geschwulst in uns existiert, die man nicht verdrängen oder ignorieren kann, die als lästiger Begleiter sichtbar ist für die Welt da draußen und die wir nur bekämpfen können, indem wir sie langsam von selbst heraus unserer eigenen Heilungskraft vertrauend gut werden lassen, so lange es halt dauert. Und wir müssen „es einladen“, hoch zu kommen, an die Oberfläche zu wandern und sichtbar zu sein, damit es von dort aus verschwinden und abheilen kann. Das „Ding“ gehört eine Zeitlang zu uns und besonders schlimme, tief gärende Pickel hinterlassen Spuren, Krater und manchmal sogar Narben in unserem Gesicht... nicht schön, aber eben auch nicht zu ändern. Sie sind trotzdem irgendwann geheilt. Es hat uns verändert, sichtbar verändert, aber ein makelloses Gesicht hat eben noch nicht so gelebt, wie wir es getan haben.